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Anorganische Stickstoffdünger reduzieren in vier Schritten

Aktualisiert: vor 14 Stunden

Die Australierin Dr. Christine Jones bechreibt eine Methode, wie Landwirtinnen und Landwirte über einen Zeitraum von vier Jahren den Einsatz von industriell gefertigtem anorganischen Stickstoffdünger schrittweise auf fünf Kilogramm pro Hektar reduzieren, dabei gleichzeitig die Bodengesundheit aufbauen und die wirtchaftliche Produktivität steigern können.


Jones ist weltweit bekannt und anerkannt als Expertin und wandelndes Lexikon für regenerative Landwirtschaft.


Dr. Christine Jones
Dr. Christine Jones, weltweit anerkannte Expertin für regenerative Landwirtschaft. Bild "Publicity Shot Soil Tour".

Christine Jones ist überzeugt: Grosse Mengen an Stickstoffdünger müssen nur eingesetzt werden, wenn es an mikrobieller Vielfalt fehlt. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wenn Anbau ohne Einsatz von viel anorganischem Stickstoffdünger nicht funktioniert, ist das ein Indikator für ein gestörtes Ökosystem. Es fehlt die robust biodiverse Bodenbiologie, welche die natürliche Stickstofffixierung und den Nährstoffkreislauf unterstützt.

 

 

Anorganische Stickstoffdünger sind ein zweischneidiges Schwert


Anorganische Stickstoffdünger sind im wesentlichen Salze. Sie werden eingesetzt, um schnell und sicher den N-Bedarf der Kulturpflanzen zu decken. Diese «Salze» sind, einmal im Boden, allerdings sehr mobil. Sie werden sehr rasch ab- und umgebaut, gasen in die Atmosphäre aus oder werden vom Regenwasser aufgelöst und ausgewaschen.


Höchstens ein Drittel (!) von ausgebrachtem anorganischen Stickstoff wird von den Pflanzen aufgenommen. Der restliche Dünger verschwindet anderswo und verursacht dabei grosse Umweltverschmutzungen.


Diese Verwendung von solchen Stickstoffdüngern ist also äusserst ineffizient und verursacht bei den Landwirt:innen unnötige Kosten. Anorganische Dünger kosten gutes Geld, und die Preise können enorm schwanken, wie die Energiekrise anlässlich des russischen Überfalls auf die Ukraine exemplarisch zeigte.


anorganischer Stickstoffdünger
Höchstens ein Drittel von anorganischem Stickstoff wird von den Pflanzen aufgenommen. Bild iStock

Die Problematik reicht jedoch noch viel weiter: Hohe Dosen von industriellem Stickstoff stören das mikrobielle Gleichgewicht im Boden und reduzieren dessen Vielfalt. Freie stickstofffixierende Mikroben im Bodenprofil stellen ihre energieintensive Arbeit meist (teilweise) ein, sobald viel Stickstoff im Boden ist. Ihre Funktion wird quasi überflüssig.

 

 

Mikrobielle Enzyme sind der Schlüssel zur Verfügbarkeit von Stickstoff im Boden


Kurzer Exkurs in die Biochemie: Bestimmte Mikroorganismen – sogenannte diazotrophe Bakterien und Archaeen – sind in der Lage, den molekularen Stickstoff aus der Luft (N₂) durch Reduktion in eine pflanzenverfügbare Form umzuwandeln. Der komplexe chemische Prozess, der durch einen speziellen Enzymkomplex (Nitrogenase) ermöglicht wird, fixiert N₂ zunächst zu Ammoniak NH3, welches sich im wässrigen Zellmilieu umgehend zu Ammonium NH4 transformiert.


Der Haken an diesem faszinierenden Prozess: Nitrogenase ist extrem empfindlich auf die Sauerstoffkonzentration des Milieus. Bereits kleine Mengen an Sauerstoff hemmen ihre Funktion. Deshalb findet die biologische Stickstofffixierung nur in stabil-mikroaeroben bzw. fast anaeroben Zonen statt – also in sehr sauerstoffarmen Umgebungen.


Biologische Stickstofffixierung findet nur in sehr sauerstoffarmen Umgebungen statt.

Solche Bedingungen sind im Boden in mit Rhizobien besiedelten Knöllchen der Leguminosen sowie innerhalb von Wurzelhöschen und in stabilen Bodenaggregaten vorzufinden. Wurzelhöschen entstehen, wenn sich viele Mikroorganismen eng um die Wurzeln einer gesunden Pflanze ansiedeln, siehe Bild unten (lies hierzu auch unseren spannenden Blogpost über die Wurzelausscheidungen).


Die Bildung der beiden Mikrohabitate wird durch Einsatz von grossen Mengen hochkonzentrierter anorganischer Stickstoffdünger jedoch gestört - industrieller Dünger bremst oder verunmöglicht die natürliche Stickstofffixierung.


Je mehr Stickstoffdünger wir also ausbringen, desto mehr behindern wir genau die Prozesse, die den Stickstoff im Boden verfügbar machen.


Wir verlieren dadurch kostenlos verfügbaren Stickstoff und müssen ihn ressourcenintensiv wieder zuführen.


Wurzelhöschen

Wurzelhöschen auf Haferpflanzen nach der Impfung mit einem flüssigen Wurmkompost-Extrakt (Bild: Agresol)



Reduktion in vier Schritten


Für den Ausstieg aus diesem Teufelskreis schlägt Christine Jones eine Methode vor: In vier Schritten führt diese sanft zur Nutzung der natürlichen Prozesse der biologischen Stickstofffixierung zurück:



Schritt 1: Das Potenzial von Luftstickstoff erkennen


78% der Atmosphäre ist Stickstoff in Form von inertem, nicht pflanzenverfügbaren N₂. Das Luftvolumen über einem Hektar Boden enthält ein Reservoir von mehreren Tausend Tonnen gasförmigen Stickstoff.

 

 

Schritt 2: Die Wege der biologischen Stickstofffixierung kennenlernen


Wie weiter oben schon geschildert, gibt es mehrere Wege der biologischen Stickstofffixierung. Diese funktionieren immer in Assoziation mit Mikroben:


  • Die Fixierung in den Wurzelhöschen: Gesunde Wurzeln scheiden Zucker aus, welcher freilebende stickstofffixierende Bakterien anzieht. Diese Bakterien sammeln sich um die Nahrungsquelle herum und bilden um die Wurzeln mit mikrobiellem Leben gefüllte Bereiche, sogenannte Wurzelhöschen in „Dreadlock”-Strukturen. Dort produzieren sie Stickstoff-Verbindungen, die die Pflanze aufnehmen kann.

  • Die Fixierung innerhalb von Bodenaggregaten: Aggregate bilden sauerstoffarme Taschen aus, in denen Nitrogenase-Enzyme wirken können, was die Stickstofffixierung weiter fördert.

  • Die symbiotische Fixierung in Leguminosen: Rhizobium-Bakterien bilden Knöllchen an den Wurzeln von Hülsenfrüchten, in denen Stickstoff aus der Atmosphäre in eine für Pflanzen verwertbare Form umgewandelt werden.


Ausserdem bilden pflanzenassoziierte Mykorrhiza-Netzwerke, also Pilzgeflechte, welche den Nährstoff-Austausch zwischen Pflanzen und Bodenmikroben gewährleisten, eine sehr wichtige Rolle bei der Verteilung Stickstoff im Boden: Ihre «Pilzautobahnen» dienen als zentrale Transportwege für mikrobiell fixierten Stickstoff - insbesondere für Aminosäuren, einer besonders energieeffizienten Stickstoffform für die Pflanze.


In der sauerstoffarmen Umgebung der Rhizosphäre gedeihen die stickstofffixierenden Mikroben
In der sauerstoffarmen Umgebung der Rhizosphäre gedeihen die stickstofffixierenden Mikroben. Pilze transportieren die Wurzelausscheidungen (Exsudate) zu Bakterien und Archaeen, die Stickstoff fixieren. Bild: The Nitrogen Solution with Dr. Christine Jones


Ergänzend sei erwähnt, dass Pflanzen über (mindestens) zwei weitere Mechanismen verfügen, um sich mit «mikrobiellem» Stickstoff zu versorgen:


  • Zum einen über den Rhizophagie-Zyklus, bei dem Bakterien und andere Typen Mikroben von der Pflanzenwurzel verschlungen werden und deren N «verdaut» wird (mehr dazu in unserem Blogpost zur Rhizophagie).

  • Zum anderen über stickstofffixierende Endophyten. Das sind Bakterien, die innerhalb der Pflanze leben, beispielsweise im Blattgewebe von Nicht-Leguminosen, und die dort Luftstickstoff kontinuierlich in pflanzenverfügbare Form umwandeln.

 

 

Schritt 3: Die Gaben von synthetischen Stickstoffdüngern schrittweise reduzieren


Um die Abhängigkeit von anorganischem Stickstoff zu verringern, empfiehlt Christine Jones eine abgestufte Vorgehensweise. Eine graduelle Reduktion verhindert den Schock, der bei abruptem Stickstoffentzug entsteht, und gibt den Bodenmikroorganismen die Möglichkeit, sich allmählich zu regenerieren und wieder aktiv zu werden – ohne dass Ertragseinbussen entstehen.


Vermeide abruptes Absetzen von anorganischem Stickstoff, reduziere stufenweise: 20% im ersten, weitere 30% im zweiten und dann 50% im dritten Jahr.

Dr. Jones rät dazu, den Stickstoffeinsatz im ersten Jahr um etwa 20 %, im zweiten Jahr um weitere 30 % und im dritten Jahr um nochmals 50 % zu reduzieren.


Ziel ist es, im vierten Jahr die Düngemenge von rund 5 kg N/ha zu erreichen – ein Input, der laut Christine Jones die biologische Stickstofffixierung unterstützt, ohne das natürliche Bodensystem aus dem Gleichgewicht zu bringen.


Im vierten Jahr wird die Düngemenge von rund 5 kg N pro Hektar erreicht, welche die biologische Stickstofffixierung nicht hemmt, sondern unterstützt.

Um den tatsächlichen Stickstoffbedarf der Pflanzen während des Absetzungsprozesses zu ermitteln, macht man Blattsaftanalysen. Stickstoff-Gaben in Aminoform, z. B. in Form von Fischhydrolysat oder als Blattspritzungen beeinträchtigen das Bodenmikrobiom nicht und wirken in der Übergangszeit unterstützend. So kann die Zeit überbrückt werden, bis die mikrobielle Population im Boden wieder voll funktionsfähig ist.


Reduktion des Einsatzes von synthetischem Stickstoff über 4 Jahre nach Dr. Jones.
Reduktion des Einsatzes von synthetischem Stickstoff über 4 Jahre nach Dr. Jones.

 

Schritt 4: Die Wege der biologischen Stickstofffixierung stärken


Um eine lebendige mikrobielle Gemeinschaft und die damit einhergehende biologische Stickstofffixierung im Boden zu stärken, braucht es eine Kombination regenerativer Praktiken: Dauerbegrünung, vielfältige Bepflanzung, gezielte Förderung den mikrobiellen Prozesse sowie, wie bereits erwähnt, die Reduktion synthetischer Stickstoffdünger.


Reduzierte Bodenbearbeitung trägt dazu bei, das empfindliche System der Mikroorganismen, insbesondere der Mykorrhizapilze, zu erhalten. Durch den Einsatz von Deckfrüchten und Mischkulturen bleibt der Boden mit den Zucker absondernden Wurzeln kontinuierlich lebendig und die Wurzelhöschen bilden sich.


Über die Einbringung von Biostimulanzien, Huminstoffen oder organischen Stickstoffformen steigert man die mikrobielle Aktivität weiter und trägt zur Bildung von Bodenaggregaten bei.


Der Wechsel von einem chemieabhängigen System mit hohem externem Input zu einem regenerativen Modell, das auf natürliche Stickstofffixierung basiert, bietet zahlreiche Vorteile:


Wirtschaftliche Einsparungen, Schutz unserer Lebensgrundlagen, verbesserte Pflanzengesundheit und, ganz allgemein, ein nachhaltigeres Produktionssystem.


Rhizosphäre von Hafer
Rhizosphäre von Hafer. Links mit, rechts ohne anorganischen Stickstoffdünger (Bild: The Nitrogen Solution with Dr. Christine Jones)

Christine Jones weist in diesem Zusammenhang noch auf einen wichtigen Punkt hin: Leguminosen sind punkto Stickstoffversorgung nicht «die alleinige Lösung» und sollten eher weniger angebaut werden, als vielerorts praktiziert.


Denn Leguminosen können mit ihren Rhizobien relativ grosse Mengen Stickstoff fixieren. Deren Freisetzung im Boden kann einen ähnlich negativen Effekt wie handelsüblicher anorganischer Stickstoffdünger zur Folge haben: der reichlich vorhandene Stickstoff wirkt auf andere Mikroorganismen, die ebenfalls Stickstoff fixieren könnten, unterdrückend und kann dadurch die Regeneration von Ökosystem und Bodenstruktur ausbremsen.

 

 

Wie sehen wir, ob in unserem Boden Stickstofffixierung stattfindet?


Wir sollten uns bewusst sein, dass der Grossteil der bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen zur Stickstoffdynamik in landwirtschaftlichen Böden (und die davon abgeleiteten Düngeempfehlungen) unter Bedingungen durchgeführt wurden, die die Aktivität freilebender stickstofffixierender Bakterien und Archaeen kaum oder gar nicht berücksichtigen.


Laut Christine Jones basiert daher rund 99 % der Stickstoffforschung auf unvollständigen oder irreführenden Annahmen. Sie fordert daher, dass wir das gesamte Verständnis rund um den Stickstoff neu aufbauen.


Praktisch jede grüne Pflanze verfügt über die Fähigkeit, mit freilebenden stickstofffixierenden Bakterien zu kooperieren.

Nun wird jedenfalls klar, dass wir zwei weit verbreitete Glaubenssätze relativieren können:

  • Erstens, dass Pflanzen ohne zusätzliche Stickstoffzufuhr nicht gut gedeihen können und

  • zweitens, dass nur Leguminosen eine Beziehung mit stickstofffixierenden Bakterien eingehen.


Gemäss Jones verfügt praktisch jede grüne Pflanze über die Fähigkeit, mit freilebenden stickstofffixierenden Bakterien zu kooperieren.


Wenn wir nun wissen möchten, ob unser Boden wirklich Stickstoff bindet, geht das ganz einfach. Wir müssen lediglich prüfen, ob Wurzelhöschen oder gut ausgebildete, stabile Bodenaggregate vorhanden sind. Dies lässt sich ganz einfach durch eine visuelle Bewertung mit einer Spatenprobe feststellen.



Mein Boden braucht nicht mehr Stickstoff, sondern mehr Kohlenstoff


John Kempf berichtete in einer sehr spannenden Episode seines Podcast von einem Gespräch mit einer Gemüsebäuerin. Die Bäuerin sagte, sie sei früher fest davon überzeugt gewesen, Leguminosen als Zwischenfrucht anbauen zu müssen – um den Boden Stickstoff zuzuführen.


Aber irgendwann sei ihr klar geworden: "Mein Boden braucht nicht mehr Stickstoff, sondern er braucht mehr Kohlenstoff!"


Denn Humusbestandteile bestehen vordergründig aus Kohlenstoff und Stickstoff. Stickstoffbindung geschieht also «automatisch» im Zuge eines aktiven Bodenaufbaus – und das ist ebenfalls eine wichtige Erkenntnis.

 

 

 

Quellen

Teale Simmons: Dr Christine Jones’ The Nitrogen Solution (Artikel von Agresol, abgerufen am 27.8.2025)

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