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Quorum Sensing: Wie Teamarbeit der Mikroben die Pflanzen stärkt

Aktualisiert: vor 2 Tagen

Wie kann es sein, dass das Ausbringen von minimalen Mengen Biostimulanzien wie Komposttee einen so grossen Effekt auf die Vitalität der Kulturpflanzen hat? Dass selbst kleinste Mengen an Mikroorganismen und mikrobieller Substanzen im Boden gewaltige Prozesse in Gang setzen können?


Die Antwort lautet: Mikroben können sich über chemische Signale abstimmen. Sobald sie in genügender Zahl vorhanden sind, beginnen sie, wie ein Superorganismus zu handeln – und stärken damit Pflanzengesundheit, Bodenfunktionen und die Resilienz des gesamten Agrarsystems. Diesen biochemischen Steuerungsmechanismus nennt man Quorum Sensing.


Quorum Sensing

Christine Jones ist eine australische Bodenbiologin und eine der führenden Stimmen im Bereich der bodenaufbauenden Landwirtschaft. Für sie ist Quorum Sensing der zentrale Prozess, der erklärt, warum regenerative Praktiken auch mit sehr geringem Input grosse Wirkung entfalten.

 

Mikroben sind Teamplayer


Nährstoffkreisläufe, Pflanzenwachstum, Krankheitsabwehr oder Klimaresilienz: Für all diese Bodenfunktionen – und viele weitere – sind Mikroben verantwortlich. Zu den Mikroben zählen Bakterien, Archaeen, Pilze, Protozoen, Algen und sogar Viren. Voraussetzung ist allerdings, dass diese in ausreichender Zahl vorhanden sind.


Solange Mikroben in geringer Zahl vorkommen, bleiben viele ihrer Fähigkeiten verborgen. Isolierte Mikroorganismen können bestimmte Gene oder Verhaltensweisen, die für ihr Überleben und das Zusammenspiel mit anderen wichtig sind, nicht aktivieren.


Mikroben kommunizieren untereinander über chemische Signale, sogenannte Autoinduktoren. Sobald genug Mikroben bzw. genug dieser Kommunikationssignale vorhanden sind, also ein biochemischer Schwellenwert erreicht ist, passen die Mikroben ihre Genaktivität an – entweder ihre eigene oder die des Wirts (Pflanze, Tier, Mensch), in dem sie leben. Sie bringen dabei neue Eigenschaften zum Vorschein, die je nach Situation erforderlich sind – etwa Virulenz, also die Fähigkeit eines Pathogens, sich unter gegebenen Bedingungen zu vermehren und krankheitserregend zu werden.


Sobald ein biochemischer Schwellenwert erreicht ist, bringen die Mikroben neue Eigenschaften zum Vorschein.

Dieses Phänomen heisst Quorum Sensing. Der Begriff stammt aus dem Englischen: Quorum bedeutet eine aufgrund einer vorgeschriebenen Anzahl Mitglieder oder Anzahl abgegebener Stimmen beschlussfähige Gruppe; to sense heisst spüren oder wahrnehmen. Ziel dieses Mechanismus ist es, das Fortbestehen der Mikroben zu sichern.

 

 

Quorum Sensing und Quorum Quenching


Quorum Sensing ist also ein dichteabhängiger Mechanismus, der durch einen ständigen Austausch von chemischen Signalen zwischen den Zellen möglich ist und es den Mikroben möglich macht, sich wie ein Kollektiv zu verhalten. Erstmals entdeckt wurde dieses Phänomen in den 1960er Jahren – bei leuchtenden Meeresbakterien, die erst ab einer bestimmten Zellzahl Licht erzeugen.


Wenn Einzeller miteinander kommunizieren und koordiniert handeln, können sie aber mit anderen Arten Beziehungen eingehen und Aufgaben übernehmen, die normalerweise nur in komplexen, mehrzelligen Organismen denkbar sind. Diese kollektive Intelligenz ermöglicht es Mikroben beispielsweise, Krankheitserreger abzuwehren oder gezielt anzugreifen, Biofilme zu bilden, die Schutz und Stabilität geben, Pflanzen gezielt zu unterstützen oder zu regulieren oder auch Stresssituationen wie Trockenheit oder Überschwemmung gemeinsam zu meistern. All diese Fähigkeiten beruhen auf der erwähnten mikrobiellen Zusammenarbeit.


Die kollektive Intelligenz ermöglicht es Mikroben beispielsweise, Krankheitserreger abzuwehren oder gezielt anzugreifen.

Quorum Quenching (engl. to quench = abschrecken, ersticken) ist das Gegenteil von Quorum Sensing. Dabei stören oder blockieren Mikroben gezielt die Signale anderer Mikroben und verhindern damit, dass bestimmte kollektive Verhaltensweisen ausgelöst werden.


Das Prinzip Quorum Sensing
Links eine Situation mit geringer Zellzahl und niedriger Konzentration chemischer Botenstoffe. Die Mikroben sind hier noch nicht als koordinierte Gruppe aktiv. Rechts: Die Zell- und Signalstoffdichte ist deutlich höher. Das Quorum löst eine veränderte Genexpression aus – sichtbar gemacht durch einen Farbwechsel der Zellen von orange zu blau (Bild: Akademie Aktuell).

In der Natur kommen Quorum Sensing und Quorum Quenching parallel vor, sowohl zwischen Gruppen von Mikroben als auch zwischen Mikroben und Wirtskörpern - im Wasser, an Land, in und auf Pflanzen, im Boden sowie in und auf Tieren und Menschen (besonders im Darm). Quorum-basiertes «Sozialverhalten» gilt als Standardverhalten in der Welt der Mikroben. Auch Pflanzen mischen mit und produzieren Stoffe, welche Quorum Sensing-regulierte Reaktionen in Mikroben stimulieren oder unterdrücken.


 

Beispiele von Quorum Sensing im Boden


Bakterien bilden an Oberflächen beispielsweise dichte Kolonien in Form von Biofilmen - einer schützenden Lebensumgebung, wo externen Belastungen wie Austrocknung oder anti-bakteriellen Substanzen besser Stand gehalten wird.



Wurzelhosen dank Quorum Sensing
Im Bild sichtbar sogenannte "Wurzelhosen": Biofilme die sich rund um die Pflanzenwurzeln bilden, sobald die Pflanzen genügend Wurzelexsudate absondern.

Organisiert in Biofilmen haften Mikroorganismen an Oberflächen wie Pflanzenwurzeln, Bodenpartikeln oder verrottendem organischem Material besonders gut. Beliebt bei uns: Die Pflanzen-Boden Schnittstelle, welche sich als Wurzelhose zeigt (s. Illustrationen). In einer schlecht zu reinigenden Kompostteemaschine stellen Biofilme hingegen ein ernsthaftes Problem dar.

 


Fungizide und Pestizide können Quorum Sensing verhindern
Bild links: Die Ausbringung von N, P, Fungiziden oder Insektiziden in der Nähe eines aufkeimenden Samens hemmt die Bildung eines effektiven Rhizosphären-Mikrobioms. Pflanzen, die in einen solch chemisch angereicherten Boden gesät werden, haben kahle Wurzeln. Ohne Erdanhangs gibt es kaum Schutz vor Schädlingen und Krankheiten und auch kaum Bodenbildung. Die Pflanze bleibt von chemischen Inputs abhängig. Bild rechts: Wurzeln einer Pflanze, die direkt in eine vielfältige Bodenbedeckung ohne hoch konzentrierte Düngemittel gedrillt wurde, sind von Mikroben kolonisiert. Die Wurzeln sind umgeben von einem Erdanhang, welches dank Quorum Sensing entsteht und ein schützendes, bodenbildendes Milieu ermöglicht. Der Kontakt der Mikroben mit höheren Lebewesen wird hier somit über Quorum Sensing reguliert.

Krankheitsverursachende Organismen bringen ihre Virulenz dank Quorum Sensing zum Ausdruck - eine gut koordinierte Truppe von gleichzeitig angreifenden Bakterien ist nun mal schwer zu besiegen. Mikroorganismen in der Rhizosphäre nutzen Quorum Sensing, um symbiotische Beziehungen zu regulieren, z. B. die Stickstofffixierung durch Rhizobien oder den kollektiven Bezug von Nährstoffen. Weitere Mikroben wiederum nutzen Quorum Quenching-Wirkstoffe (z.B. Antibiotika), um das Quorum Sensing ihrer Feinde gezielt unwirksam zu machen.


Quorum Sensing führt ausserdem zu einer weiteren Kompetenz von Mikroben: Zur Fähigkeit einer Zelle, frei verfügbare DNA-Moleküle aus ihrer Umgebung aufzunehmen um sich genetisch weiter zu entwickeln.

 

 

Integration in unser Denken und Handeln


Es lohnt sich, das Wissen um Quorum Sensing in unseren landwirtschaftlichen Alltag zu integrieren. Das Phänomen ist zentral für die Funktion und Widerstandsfähigkeit von Pflanzengemeinschaften, und zwar nicht nur gegenüber biotischem Stress (z. B. Schädlinge und Krankheiten), sondern auch im Hinblick auf die Förderung von Gesundheit, Fülle und Widerstandsfähigkeit gegenüber abiotischem Stress wie Trockenheit, Frost und Nährstoffmangel.


Praktiken, die die mikrobielle Fülle und Vielfalt verbessern - wie artenübergreifende Deckfrüchte, Zwischenfrüchte und Fruchtfolgen oder die Vermeidung von chemischen Düngemitteln, Pestiziden und anderen «Störungen» – sind wichtige Instrumente zur Regeneration der mikrobiellen Biomasse und Vielfalt.


Christine Jones Schlüsselprozess Quorum Sensing
Dr. Christine Jones, eine der führenden Bodenforscherinnen: "Eine ganzjährige vielfältige Bodenbedeckung ist der wichtigste Faktor für die Bodengesundheit." (Bild: "Soil Tour" zVg)

Laut Christine Jones ist das Vorhandensein einer ganzjährigen vielfältigen Bodendecke, welche die Mikroben in vielerlei Hinsicht unterstützt, der wichtigste Faktor für die Bodengesundheit. Zudem trägt jeder gesunde Samen ein eigenes Mikrobiom von mehreren Milliarden Mikroben pro Samenkorn mit, welches das mikrobiologische Umfeld rund um die Wurzel aufbaut.


Über das Phänomen Quorum Sensing lässt sich erklären, weshalb Biostimulanzien selbst bei niedriger Konzentration die Pflanzengesundheit verbessern.

Quorum Sensing hilft gemäss Christine Jones auch zu erklären, weshalb Biostimulanzien selbst bei sehr niedrigen Konzentrationen die Pflanzengesundheit verbessern: Die biochemischen Signale des Quorums aus dem Präparat ahmen mikrobielle Vielfalt und Dichte nach.


Aufgrund dieser biochemischen Signale geht die Pflanze davon aus, dass sie in einer idealen Umgebung und von vielen Verbündeten umgeben sei, auf die sie sich verlassen kann. Sie beginnt, wachstumsfördernde Substanzen und pflanzeneigene Schutzhormone zu produzieren, was in einen Wachstumsschub und robustere Gesundheit resultiert.

 

 

Fazit


Quorum Sensing ist nicht nur ein fundamentaler biochemischer Prozess. Es ist ein Schlüssel zur Erschliessung des Potenzials der regenerativen Landwirtschaft. Und eine perfekte Illustration davon, wie die Arbeit mit der Natur zu einem nachhaltigen und produktiven landwirtschaftlichen System führen kann.


Die Kehrseite von Quorum Sensing ist, dass nichts passiert, wenn nicht genügend Mikroben(-arten) vorhanden sind. Ganz gleich, ob im Boden oder im Wirtsorganismus: Wenn die Mikrobenpopulationen kein Quorum erreichen, können wichtige Gene, die z.B. für die Immunität benötigt werden, ausgeschaltet bleiben. Und genau dies scheint heute bei Böden, Pflanzen, Tieren und Menschen vermehrt zu passieren und deren bzw. unsere Gesundheit zu beeinträchtigen.


Viele moderne Agrarlandschaften sind so vereinfacht worden, dass wir uns gar nicht mehr bewusst sind, wie unglaublich produktiv vielfältigere, auf Quoren basierende Systeme sein können. Für Christine Jones ist Quorum Sensing der Schlüsselprozess, der die spektakulären Ergebnisse angemessen erklärt, die beobachtet werden, sobald die mikrobielle Vielfalt einen kritischen Schwellenwert übersteigt und als koordinierter Superorganismus zu funktionieren beginnt.


Christine Jones Quorum Sensing
Eine Pflanzenwurzel aus einem mit NPK gedüngten Boden, der mit einer dicken Kompostschicht abgedeckt wurde. Der untere Teil der Wurzeln, der sich im steril gedüngten Boden befand, ist blank. Im Gegensatz dazu konnte der obere Bereich, der im Kompost lag, eine schöne Wurzelhose bilden (Bildquelle: No-till on the Plains 2019 Christine Jones Community Tipping Points, Minute 40:03).

Das zurzeit dominierende Agrarsystem hat den Vorteil, dass es historisch gewachsen, etabliert und relativ einfach umzusetzen ist. Wäre dies nicht der Fall, würde es wahrscheinlich als illegal - wenn nicht sogar kriminell – eingestuft werden (Aussage von John Kempf).


Erst wenn ein Quorum - von Menschen! - diese Zusammenhänge erkennt, können wir wirklich damit beginnen, unsere landwirtschaftlichen Systeme zu regenerieren.


Im besten Fall werden wir eines Tages zurückblicken und uns ernsthaft fragen, wie es denn möglich war, dass wir in der Vergangenheit so widernatürlich und zerstörerisch unterwegs waren.

 

 

 

Literatur / Quellen

Christine Jones (2019): Quorum Sensing in the Soil Microbiome (Artikel)

Creating a Flourishing Soil Microbiome, Christine Jones (Video, 2023)

Bakterien verstehen: Mikrobielle Kommunikation. Akademie Aktuell 1.2017 (Artikel)

Helge B. Bode (2017): Bakterien: Lauschangriff mit tödlichen Folgen (Artikel)

Lessons from Dr. Christine Jones – Reflections at Her Retirement (Artikel, 2024)

Community Tipping Points, Christine Jones (Video, 2019)

 

 

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